Das Unvorstellbare ist für uns greifbar geworden

Jugendliche organisieren mit dem Caritas-Jugendaktionsteam Lübben und der katholischen Gemeinde Lübbenau eine gemeinsame Fahrt nach Auschwitz. – Christian Hähnlein / Fachdienstkoordinator Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit / Caritasverband der Diözese Görlitz e. V. Dienststelle Lübben

„In den Tagen haben wir viel gesehen, gehört, gefühlt. Orte, an denen Geschichte passiert ist. Geschichte, die weh tut, aber die man verstehen muss, wenn man wirklich begreifen will, was Menschlichkeit bedeutet“. Ricardo (23 J.) fasst in seinem Video-Logbuch (https://www.youtube.com/watch?v=n_oMkX2Kz9Y) eine von Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst initiierte Fahrtenreihe eindrucksvoll zusammen. Haus der Wannsee-Konferenz – Auschwitz – Birkenau – Krakau – und der Soldatenfriedhof in Halbe waren die Stationen, an denen für die fünfzehn jungen Menschen mit ihren vier Begleitern des Caritas-Jugendaktionsteams Lübben und der katholischen Pfarrei Lübbenau Geschichte nachvollziehbar und realistisch wurde.

Noel*, der von der politisch rechten Seite schon viel Meinung gehört hatte, war diese Nachvollziehbarkeit von Anfang an wichtig: „Ich möchte mal in Auschwitz vor Ort sehen, was da passiert ist. Ich will da mal hin“. Also ging man beim Grillen in die Planung: Vorbereitung auf die Thematik dort, wo die industrielle Vernichtung von Menschen ihren gedanklichen Anfang nahm, im Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin. Dann der Filmabend mit „Schindlers Liste“ im Lübbener Familienzentrum und schließlich vom 04. bis 09. August 2025 die Fahrt nach Krakau mit Quartier im jüdischen Viertel Kazimierz, dann zwei Tage für die Führung in deutscher Sprache in Auschwitz und Birkenau, schließlich ein Besuch in der Emaillewarenfabrik von Oskar Schindler – einem großen Lebensretter in jener Zeit und Gerechten unter den Völkern. Abgerundet würde die Fahrtenreihe mit dem Blick auf eine andere Art der Vernichtung im Dritten Reich werden – mit einem Besuch auf dem Kriegsgräberfriedhof im ehemaligen Kessel von Halbe, wo die Jugendsozialarbeiterin Josephine Seiger vom Amt Schenkenländchen die geschichtliche und menschliche Dimension  jener Geschehnisse der letzten Kriegstage 1945 methodisch sehr wertvoll vermitteln kann.

Eine Fahrt mit starken Impressionen war das. Impressionen, die persönlich waren und bis tief in die Nacht hinein besprochen und aufgearbeitet wurden.  Zum Beispiel Nora* (14 J.): „Dort in der Gaskammer zu sein, wo Millionen Menschen umgebracht wurden – mir schien es, als ob deren Geister mich angeschrien hätten“. Zu kurz war die Zeit während der geführten Tour zum Suchen der eigenen Familiennamen im „Buch der Namen“, in dem alle bekannten Opfer in engsten Buchstabenreihen aufgelistet sind. Und dass danach Schwarz und Weiß sich ein Zimmer teilen und gemeinsam kochen? – Na klar! Polnisch ist eine schöne Sprache, und mit dem Schulenglisch kann man orthodoxe Juden um ein Foto bitten.

Hat diese Fahrtenreihe ihr Ziel erreicht? Die Identifikation mit den Opfern von Gewalt hat stattgefunden – die Entmenschlichung in jener Zeit hat sich umgekehrt – irgendwie Mitgefühl. Das Unvorstellbare ist weiterhin unvorstellbar geblieben, ist aber greifbar geworden und hat reelle Orte gefunden. Vorurteile gegenüber Fremdem haben sich nicht bewahrheitet. Und die Wertschätzung dessen, was man heute hat, ist klarer geworden.

*diese Namen wurden pseudonymisiert

Christian Hähnlein