„Das Wohnhaus wurde verwüstet, sogar die Einweckgläser im Keller zerschlagen.“ So berichtet Gerda Dinter im Buch des Verein Kulturlandschaft Dahme-Spreewald e.V. „Das haben wir alles nicht gewusst.“ Sie beschreibt die Nacht vom 9. November auf den 10. November 1938 in der heutigen Friedrich-Engels-Straße 10 in Königs Wusterhausen: Die Geschäftsräume und das Lager von Sally Jacob.
Zum 87. Mal jährte sich an diesem Sonntag die Reichspogromnacht.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brannten Nationalsozialisten, unter Beteiligung der SS, SA und Teilen der deutschen Bevölkerung, Synagogen in Deutschland nieder. Sie zerstörten jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe. Jüdinnen und Juden wurden brutal misshandelt, verhaftet und getötet. Etwa 30.000 jüdische Männer wurden in Konzentrationslagern inhaftiert.
Die Jugendverbände LDS und der SHIA Landesverband e.V. erinnern gemeinsam in Königs Wusterhausen und Ortsteilen an ehemalige Königs Wusterhausener Bürgerinnen und Bürger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. In Lübben lud die Paul Gerhard Kirchengemeinde zur Gedenkveranstaltung ein, um an die ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger und das „Jüdische Lübben“ zu erinnern.
Unsere Verantwortung der Erinnerung nach 80 Jahren Kriegsende
80 Jahre – das sind drei Generationen. Nach Aleida Assmann gibt es ein „Drei-Generationen-Gedächtnis“, das sich nach 80 bis 100 Jahren auflöst, um Platz für die Erinnerungen nachfolgender Generationen zu schaffen. Wir stehen heute am Beginn dieses Wandels: Unsere Generation trägt nun die Verantwortung, die Zeitzeugenerzählungen, die Schilderungen der Pogrome und der systematischen Vernichtung menschlichen Lebens an die zukünftigen Generationen weiterzugeben. Wir prägen die Erinnerungskultur von morgen.
Die Gegenwart zeigt uns, dass wir uns immer wieder an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnern müssen. Gerade heute mahnt uns die Vergangenheit eindringlich, für unsere demokratischen Werte einzustehen – für Toleranz, Respekt und Freiheit, unabhängig von Herkunft, Glauben, Ansichten oder Ethnie. Unsere Verantwortung ist es, dafür zu sorgen, dass sich Geschichte nicht wiederholt.
Niemals vergessen. Nie wieder.
Worte, die in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung gewinnen und zeigen, wie bedeutsam die gemeinsame Erinnerung und das Gedenken an all die Menschen ist, die Opfer der Nationalsozialisten wurden. In einer Zeit, in der in Deutschland wieder Angriffe auf Synagogen und Menschen jüdischen Glaubens stattfinden. In einer Zeit, in der Menschen jüdischen Glaubens erneut Angst auf den Straßen in diesem Land erleiden und ihre Identität verstecken müssen. In einer Zeit, in der der Antisemitismus wieder in Worten und Taten – in Deutschland, in Europa und weltweit – sichtbar und spürbar ist. Das jüdische Leben und die jüdische Kultur wurden schon einmal in Europa verbannt. Die gemeinsame Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 und die darauffolgende Vernichtung jüdischen Lebens sollen uns mahnen, dass unsere Generation Sorge trägt, dieses erneut zu verhindern.
Am 7. Oktober 2023 erlebten Menschen jüdischen Glaubens das schlimmste Massaker an ihrem Volk seit der Shoah. Seitdem leben viele Juden in Deutschland erneut in Angst – im Land der Täter der Shoah. Gerade deshalb ist es unsere Pflicht, die Erinnerungskultur nicht verblassen zu lassen. Sie muss ein zentraler Bestandteil unserer Geschichte bleiben. Es wäre ein moralisches Versagen, die Erinnerung zu vergessen oder nicht weiterzugeben.
Weltweit leben heute nur noch etwa 245.000 Zeitzeugen. Die Aufgabe, ihre Erlebnisse – und die Erzählungen bereits verstorbener Zeitzeugen – weiterzugeben, wird zu einem der wichtigsten Elemente der zukünftigen Erinnerungskultur.
Erinnerung in Königs Wusterhausen
In Königs Wusterhausen gedachten der Stadtjugendring Königs Wusterhausen e. V., der SHIA Landesverband e.V. sowie Kreissportjugend Dahme-Spreewald mit Bürgerinnen und Bürgern bereits am Freitag. Insgesamt wurden 18 Stolpersteine in Königs Wusterhausen und Ortsteilen geputzt und die Biographien der ehemaligen Königs Wusterhausener Bürgerinnen und Bürger, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, wiedergegeben. „Wir wollen an sie erinnern, ihre Namen ins Gedächtnis rufen, ihre Biographien verlesen.“
Namen der Königs Wusterhausener Menschen, die Opfer des Nationalsozialismus wurden (klick):
Arnold Baum
Arthur Bock
Ruth Caban, Gertrud Caban
Georg Czapski, Johanna Czapski, Rosemarie Stone (geb. Czapski)
Erna Lisa Therese Dörre (geb. Marcus)
Max Lipmann Heilbut, Helene Heilbut, Marianne Ruth Heilbut
Henny Hermann (geb. Hirsch)
Sally Jacob, Rosa Jacob
Max Jacobsohn, Paula Jacobsohn
Luise-Lotte Jonas, Gustav Jonas
Dr. Viktor Karfunkel
Siegfried Lehmann
Leonie Levy
Eugen London
Rudolf Ludomer, Margarete Ludomer, Ilse Ludomer
Henriette Malzahn (geb. Hultschinsky)
Rudi Oexner
Jean Mandel, Michaelis Mandel, Margarete Mandel, Charlotte Orbach (geb. Mandel)
Rudolf Roeder
Dr. Paul Rosenstein, Johanna Rosenstein
Karl Scherer
Paul Schulze
Paul Schütze
Max Heinz Sorgenlos
Wilhelm Vogel, Margarete Vogel, Rolf Vogel, Ursula Schwarzenberger (geb. Vogel)
Werner Wachs


















Siehe auch (Kurzbiographien):
Erinnerung in Lübben
Die Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde lud am gestrigen Sonntag zu 17 Uhr zur gemeinsamen Erinnerung in Lübben ein. Rund 50 Menschen, unter ihnen sehr viele junge Menschen, begaben sich auf einen Erinnerungsrundgang. Bündnismitglied Ilka Gelhaar-Heider informierte an den Stolpersteinen über die Biographien von Johanna Wolff (geb. Pinner), Minna Burchardi (geb. Gersten), Julius Burchardi, Frida Moses (geb. Hirsch), Julius Moses und Rosalie Kassel. Junge Menschen putzten die Stolpersteine, legten Blumen nieder und erleuchteten Kerzen. Anschließend traf man sich in der Paul-Gerhardt-Kirche zum „Erinnern & Frieden stiften heute“. Pfarrerin Annett Weinbrenner, Ilka Gelhaar-Heider, Marianne Wenzel und Carsten Saß erinnerten in würdevoller Atmosphäre an die ehemaligen Lübbener Jüdinnen und Juden. Abgerundet wurde die Gedenkveranstaltung mit dem Verlesen aller Namen sowie das Erleuchten von Kerzen für jeden. Kerzen für 59 Menschen wurden anschließend am Standort der ehemaligen Synagoge, die 1938 durch die Nationalsozialisten zerstört wurde, mit Blumen sowie Steinen niedergelegt und mit dem israelischen Friedenslied „Hevenu shalom alechem“ würdevoll das Gedenken beendet.
Namen der Menschen aus Lübben, die Opfer des Nationalsozialismus wurden (klick):
Sophie-Charlotte Astrich
Siegfried Ball
Frieda Beil geb. Moses
Albert Blumenfeld
Carl Blumenfeld
Hermann Blumenfeld
Klara Blumenfeld
Albert Bock
Edwin Brandes
Nathan Böhm
Elisa Böhm
Julius Burchardi
Minna Burchardi geb. Gersten
Gerhard Ludwig Georg Emmerich
Helene Emmerich geb. Kurnicki
Leo Levi Emmerich
Lucie Friederike Emmerich
Isaac Feilchenfeld
Max Flatau
Fanny Friedeberg
Eduard Gärtner
Jenny Gersten
Henriette Goertz
Hilde Goldminz
Henriette Grossmann
Elisabeth Hirsch verwitwete Kassel geborene Schmelz
Herrmann Jablonsky
Rosalie Kassel
Martha Kessler, geborene Manasse
Franziska Koslowski
Hildegard Koslowski
Käte Koslowski
Emma Levitzki
Hugo Levitzki
Rosa Levitzki
Ruth Makowicz geborene Schwabe
Kurt Meyer
Frieda Moses geborene Hirsch
Julius Moses
Ursel Fanny Moses
Georg Nelhans
Gerhard Nelhans
Hulda Nelhans geborene Machol
Emma Schneuer geborene Bock
Jacob Steinberg
Lina Steinberg geborene Wermuth
Eugenie Stiasney geborene Almus
Leopold Stiasney
Käthe Wermuth geborene Davidowitz
Siegmund Wermuth
Ursula Wermuth
Wolfgang Wermuth
Charlotte Wiechowski geborene Riesenburger
Felix Wilhelmy
Max Wilhelmy
Johanna Wolff geborene Pinner
Hans-Günther Wunderlich
Hertha Wunderlich geborene Nelhans
Michael Mechel Ephraim Wunderlich









Stolpersteine im Landkreis Dahme-Spreewald:
Unter Menschen-Geschichten / Stolpersteine befindet sich eine Übersicht über jeden Stolperstein im Landkreis Dahme-Spreewald sowie eine jeweilige Kurzbiographie.


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